Wahrend er sich noch uberlegte, was er tun sollte, horte er plotzlich eine andere Tur aufgehen, viel naher bei ihm; jemand war auf dem Weg nach unten.
»Und bring noch 'ne Kiste Gummischnecken mit, die haben uns fast den Laden ausgeraumt -«, sagte eine Frauenstimme.
Ein Paar Fu?e kam die Treppe herunter. Harry hechtete hinter einen riesigen Korb und wartete, bis die Schritte sich entfernt hatten. Er horte, wie der Mann Kisten an die gegenuberliegende Wand schob. Noch eine solche Gelegenheit wurde er wohl nicht bekommen -
Rasch und leise huschte Harry aus seinem Versteck und kletterte die Stufen hoch; ein kurzer Blick zuruck zeigte ihm einen machtigen Rucken und einen glanzenden Glatzkopf, tief uber eine Kiste gebeugt. Harry erreichte die Tur am oberen Treppenabsatz, glitt hindurch und sah sich plotzlich hinter der Ladentheke des Honigtopfes – er duckte sich, kroch zur Seite weg und richtete sich dann auf.
Im Honigtopf drangten sich so viele Schuler aus Hogwarts, da? keiner besondere Notiz von Harry nahm. Er schob sich zwischen ihnen durch, sah sich um und unterdruckte ein Lachen bei dem Gedanken, was fur ein Schweinchengesicht Dudley machen wurde, wenn er sehen konnte, wo Harry jetzt war.
Bis zur Decke reichten die Regale mit den verfuhrerischsten Leckereien, die man sich vorstellen konnte: sahnige Nugatriegel, rosa schimmerndes Kokosnu?eis, fette, honigfarbene Toffeebohnen; Hunderte verschiedene Sorten Schokolade, fein sauberlich aneinander gereiht; ein gro?es Fa? mit Bohnen jeder Geschmacksrichtung und ein weiteres mit zischenden Wissbies, den Brausekugeln, die einen vom Boden rissen, wie Ron erzahlt hatte. Entlang einer anderen Wand stapelten sich Su?igkeiten mit»Spezialeffekt«- Druhbels Bester Blaskaugummi (der ein Zimmer mit glockenblumenfarbenen Blasen fullte, die tagelang nicht platzen wollten), die merkwurdig splitterige Zahnwei?-Pfefferminzlakritze, winzig kleine Pfefferkobolde (»heiz deinen Freunden mal richtig ein!«), Eismause (»dir klappern die Zahne und du quiekst!«), Pfefferminzpralinen in der Form von Kroten (»hupfen dir vorbildgetreu in den Magen!«), zerbrechliche, aus Zucker gedrehte Federhalter und explodierende Bonbons.
Harry drangte sich durch eine Schar Sechstkla?ler und sah am anderen Ende des Ladens ein Schild hangen (»Ein ganz anderer Geschmack«). Darunter standen Ron und Hermine und untersuchten eine Schale Lutscher mit Blutgeschmack. Harry schlich sich unbemerkt von hinten an.
»Urrgh, nee, die will Harry bestimmt nicht, die sind sicher fur Vampire«, sagte Hermine.
»Und was ist mit denen hier?«, fragte Ron und hielt ihr einen Krug mit getrockneten Kakerlaken unter die Nase.
»Auch nicht«, sagte Harry.
Fast hatte Ron den Krug fallen lassen.
»Harry!«, kreischte Hermine.»Was machst du denn hier? Wie… wie bist du -?«
»Aber hallo!«, sagte Ron ganz und gar beeindruckt,»du hast gelernt, wie man appariert!«
»Naturlich nicht«, sagte Harry. Er dampfte die Stimme, damit keiner von den Sechstkla?lern ihn horen konnte, und erzahlte ihnen alles uber die Karte des Rumtreibers.
»Wieso haben Fred und George sie mir nie gegeben!«, sagte Ron emport.»Ich bin schlie?lich ihr Bruder!«
»O Harry«, flusterte Hermine.»Wenn das jemand erfahrt… dann sitzt du in der Patsche… und was ist mit – du wei?t schon – Sirius Black?«
»Wurd mich wundern, wenn er Harry jetzt erkennen konnte«, sagte Ron und nickte hinuber zu kleinen holzgerahmten Fenstern. Drau?en herrschte dichtes Schneetreiben.»Mach dir nichts draus, Hermine, es ist Weihnachten. Harry hat sich seinen kleinen Ausflug verdient.«
Hermine wirkte sehr besorgt.
»Willst du mich etwa verpetzen?«, fragte Harry grinsend
»Oh – naturlich nicht – aber ehrlich gesagt, Harry -«
»Hast du die zischenden Wissbies gesehen, Harry?«, sagte Ron, packte ihn am Arm und fuhrte ihn hinuber zu dem Fa?.»Und die Gummischnecken? Und die Sauredrops? Als ich sieben war, hat mir Fred einen geschenkt, und er hat mir ein Loch durch die Zunge gebrannt, ich wei? noch, wie ihn Mum mit dem Besen vermobelt hat.«Ron starrte gedankenversunken in die Schachtel mit den Sauredrops.»Meinst du, Fred wird von den getrockneten Kakerlaken probieren, wenn ich ihm sage, es seien Erdnusse?«
Als Ron und Hermine all ihre Su?igkeiten bezahlt hatten, verlie?en sie den Honigtopf und sturzten sich nach drau?en in den Schneesturm.
In Hogsmeade sah es aus wie auf einer Weihnachtskarte:
die kleinen aneinander geschmiegten Dorfhauser und Laden lagen unter einer Hulle pulvrigen Schnees; an den Turen hingen Stechpalmenbundel und durch die Baume schlangen sich Kordeln mit Zauberkerzen.
Harry bibberte; er hatte nicht daran gedacht, seinen Umhang mitzunehmen. Sie gingen die Stra?e entlang, die Kopfe gegen den Wind geneigt, und Ron und Hermine riefen durch ihre Schals:
»Das ist die Post -«
»Dort oben ist Zonko -«
»Wir konnten raufgehen zur Heulenden Hutte -«
»Wi?t ihr was«, sagte Ron zahneklappernd,»wir konnten doch auf ein Butterbier in die Drei Besen gehen!«
Harry war unbedingt dafur; der Wind blies heftig und er hatte eiskalte Hande. Sie uberquerten die Stra?e und ein paar Minuten spater betraten sie das winzige Wirtshaus.
Es war gesteckt voll, laut, warm und verrauchert. Eine recht wohlproportionierte Frau mit hubschem Gesicht kummerte sich gerade um einen Klungel grobschlachtiger Hexenmeister an der Bar.
»Das ist Madam Rosmerta«, sagte Ron.»Ich hol uns was zu trinken, oder?«, fugte er hinzu und errotete kaum merklich.
Harry und Hermine schlugen sich in die hintere Ecke durch, wo ein Tisch zwischen den Fenstern frei war und ein schoner Weihnachtsbaum neben dem Kamin stand. Ron kam nach funf Minuten mit drei dampfenden Krugen Butterbier zu ihnen.
»Frohe Weihnachten!«, sagte er glucklich und erhob seinen Krug.
Harry trank mit machtigen Schlucken. Das war das Leckerste, was er je getrunken hatte, und es schien ihn von innen bis in die letzte Pore zu erwarmen.
Ein jaher Windsto? zerzauste ihm das Haar. Die Tur der Drei Besen war aufgegangen. Harry blickte uber den Rand seines Krugs hinweg und verschluckte sich.
Die Professoren McGonagall und Flitwick hatten soeben unter Schneeflockengestober den Pub betreten, und kurz darauf folgte ihnen Hagrid, ganz in ein Gesprach vertieft mit einem pummeligen Mann mit limonengruner Melone und Nadelstreifenumhang – Cornelius Fudge, der Minister fur Zauberei.
Ron und Hermine hatten keine Sekunde gezogert, die Hande auf Harrys Kopf gelegt und ihn vom Stuhl weg unter den Tisch gedruckt. Mit Butterbier bekleckert klammerte er den leeren Krug an sich und lugte unter dem Tisch hervor nach den Fu?en der Lehrer und des Ministers, die zur Bar gingen, einen Moment stehen blieben und dann direkt auf ihn zukamen.
Uber ihm flusterte Hermine»Mobiliarbus!«.
Der Weihnachtsbaum neben ihrem Tisch erhob sich eine Handbreit vom Boden, schwebte zur Seite und landete mit einem sanften Rascheln direkt vor ihrem Tisch. So versteckt, spahte Harry durch die dichten unteren Zweige. Vier mal vier Stuhlbeine am Nebentisch wurden uber den Boden geruckt, dann horte er, wie sich die Lehrer und der Minister unter Achzen und Seufzen niederlie?en.
Jetzt naherte sich ein weiteres Paar Fu?e in funkelnd turkisblauen Stockelschuhen, und er horte die Stimme einer Frau.
»Ein kleines Goldlackwasser
»Das ist fur mich«, antwortete Professor McGonagalls Stimme.
»Vier Halbe hei?en Honig-Met.«
»Hier, Rosmerta«, sagte Hagrid.
»Kirschsirup und Soda mit Eis und Schirmchen -«
»Mmm!«, sagte Professor Flitwick und schnalzte mit der Zunge.
»Dann ist der Johannisbeer-Rum fur Sie, Minister.«
»Danke, Rosmerta, meine Liebe«, sagte Fudge.»Schon, Sie mal wieder zu sehen, Wollen Sie sich nicht setzen und einen Schluck mit uns trinken…«
»Oh, vielen Dank, Minister.«
Harry sah, wie die glitzernden Pumps sich entfernten und wieder zuruckkamen. Das Herz pochte ihm schmerzhaft in der Kehle. Warum hatte er nicht daran gedacht, da? dies auch das letzte Wochenende fur die Lehrer war? Und wie lange wurden sie hier sitzen bleiben? Er brauchte Zeit, um sich wieder in den Honigtopf zu schleichen, wenn er heute abend noch in die Schule zuruckwollte… Hermines Bein neben ihm zuckte nervos.