Hagrid weinte nicht und er warf sich auch keinem von ihnen um den Hals. Er sah aus wie jemand, der nicht wei?, wo er ist oder was er tut. Diese Hilflosigkeit war noch schlimmer mit anzusehen als Tranen.

»Wollt ihr 'n Tee?«, sagte er. Mit zitternden Pranken langte er nach dem Kessel.

»Wo ist Seidenschnabel, Hagrid?«, fragte Hermine zogernd.

»Ich – ich hab ihn rausgebracht«, sagte Hagrid und bekleckerte beim Auffullen des Milchkrugs den ganzen Tisch.»Er ist hinter meinem Kurbisbeet an der Leine. Dachte, er sollte noch mal die Baume sehen und – und ein wenig frische Luft schnappen – bevor -«

Hagrids Hand zitterte so heftig, da? ihm der Milchkrug entglitt und auf dem Boden zerschellte.

»Ich mach das schon, Hagrid«, sagte Hermine rasch und beeilte sich, den Milchsee aufzuwischen.

»Da ist noch einer im Schrank«, sagte Hagrid. Er setzte sich und wischte sich mit dem Armel die Stirn. Harry warf Ron einen Blick zu, den dieser mit hoffnungsleeren Augen erwiderte.

»Kann man denn gar nichts mehr machen, Hagrid?«, fragte Harry jetzt wild entschlossen und setzte sich neben ihn.»Dumbledore -«

»Er hat's doch versucht«, sagte Hagrid.»Aber er hat nicht die Macht, das Urteil zu andern. Er hat den Leuten vom Ausschu? erklart, da? Seidenschnabel in Ordnung ist, aber die haben doch Angst… ihr kennt Lucius Malfoy… der hat sie bedroht, vermut ich mal… und der Henker, Macnair, ist ein alter Kumpel von Malfoy… aber es wird schnell und sauber gehen… und ich werd bei ihm sein…«

Hagrid schluckte. Sein Blick huschte durch die Hutte, als suchte er verzweifelt nach einem Fetzen Hoffnung oder Trost.

»Dumbledore will auch dabei sein, wenn es… wenn es passiert. Hat mir heute Morgen geschrieben. Er will… will bei mir sein. Gro?artiger Mensch, Dumbledore…«

Hermine, die in Hagrids Schrank nach einem anderen Milchkrug gesucht hatte, lie? einen leisen, rasch erstickten Schluchzer horen. Mit dem Krug in der Hand richtete sie sich auf,

»Wir bleiben bei dir, Hagrid«, begann sie und kampfte mit den Tranen, doch Hagrid schuttelte seinen zottigen Kopf.

»Ihr mu?t zuruck ins Schlo?. Ich hab euch doch gesagt, ich will nicht, da? ihr zuseht. Und ihr solltet ohnehin nicht hier unten sein… wenn Fudge und Dumbledore euch hier finden, Harry, dann kriegt ihr gewaltigen Arger.«

Stumme Tranen rannen nun an Hermines Wangen hinunter, doch sie werkelte am Teekessel herum, um sie vor Hagrid zu verbergen. Dann langte sie nach der Milchflasche um die Kanne zu fullen – und stie? einen spitzen Schrei aus.

»Ron! Ich – das gibt's doch nicht – es ist Kratze!«

Ron starrte sie mit aufgerissenem Mund an.

»Was redest du da?«

Hermine trug die Milchkanne hinuber zum Tisch und stellte sie auf den Kopf. Mit einem panischen Quieken und verzweifelt mit den Beinchen krabbelnd, um wieder in die Kanne zu kommen, kam Kratze auf den Tisch gekullert.

»Kratze!«, sagte Ron entgeistert.»Kratze, was machst du denn hier?«

Er packte die widerspenstige Ratte und hielt sie ins Licht. Kratze sah schrecklich aus. Er war dunner als je, dicke Haarbuschel waren ihm ausgefallen und hatten gro?e kahle Stellen hinterlassen. Er wand sich in Rons Hand, als ob er verzweifelt das Weite suchte.

»Ist schon gut, Kratze!«, sagte Ron.»Keine Katzen! Keiner hier will dir was antun!«

Plotzlich stand Hagrid auf und spahte durch das Fenster. Sein wettergegerbtes Gesicht hatte die Farbe von Pergament angenommen.

»Sie kommen…«

Harry, Ron und Hermine wirbelten herum. In der Ferne sahen sie ein paar Manner die Schlo?treppe herunterkommen. Voran ging Albus Dumbledore, dessen silberner Bart in der untergehenden Sonne schimmerte. Ihm nach trottete Cornelius Fudge. Dann folgten das tattrige alte Ausschu?mitglied und Macnair, der Henker.

»Ihr mu?t gehen«, sagte Hagrid. Er zitterte am ganzen Leib.»Sie durfen euch hier nicht finden… verschwindet jetzt, schnell…«

Ron stopfte Kratze in seine Tasche und Hermine nahm den Umhang hoch.

»Ich la? euch hinten raus«, sagte Hagrid.

Sie folgten ihm durch die Tur in seinen Garten. Harry kam alles seltsam unwirklich vor, und das um so mehr, als er ein paar Meter entfernt Seidenschnabel sah, den Hagrid an den Zaun um sein Kurbisbeet gebunden hatte. Seidenschnabel schien zu wissen, da? etwas geschehen wurde. Er warf den Kopf hin und her und scharrte nervos auf der Erde.

»Ist schon gut, Schnabelchen«, sagte Hagrid leise.»Es ist alles gut…«Er wandte sich den dreien zu.»Geht jetzt«, sagte er,»sputet euch.«

Doch sie ruhrten sich nicht.

»Hagrid, wir konnen nicht einfach -«

»Wir sagen ihnen, was wirklich passiert ist -«

»Sie durfen ihn nicht umbringen -«

»Geht«, sagte Hagrid grimmig.»Ist alles schon schlimm genug, da mu?t ihr nicht auch noch Arger kriegen!«

Sie hatten keine Wahl. Als Hermine den Umhang uber Harry und Ron warf, horten sie Stimmen vor der Hutte. Hagrid sah auf die Stelle, wo sie eben verschwunden waren.

»Geht schnell«, sagte er heiser,»und lauscht nicht…«

Jemand klopfte an seine Tur und er ging rasch in die Hutte.

Langsam, wie in grauenerfullter Trance, schlichen sich Harry, Ron und Hermine leise um Hagrids Hutte herum. Als sie auf der anderen Seite waren, fiel die Vordertur mit einem scharfen Knall ins Schlo?.

»Beeilen wir uns, bitte«, flusterte Hermine.»Ich kann das nicht sehen, ich kann es nicht ertragen…«

Sie gingen den Rasenhang zum Schlo? hoch. Die Sonne versank jetzt schnell am Horizont; der Himmel hatte ein klares, mit purpurnen Schleiern durchzogenes Grau angenommen, doch im Westen gluhte es rubinrot.

Ron blieb wie angewurzelt stehen.

»O bitte, Ron«, sagte Hermine.

»Es ist Kratze – gibt einfach keine Ruhe -«

Ron hatte sich gebuckt und versuchte Kratze in der Tasche zu halten, doch die Ratte hatte rasende Angst gepackt; mit irrem Quieken, sich windend und kratzend, versuchte sie die Zahne in Rons Hand zu versenken.

»Kratze, ich bin's, Ron, du Dummkopf!«, zischte Ron.

Hinter ihnen ging eine Tur auf und sie horten Mannerstimmen.

»O Ron, bitte, gehn wir weiter, sie tun's jetzt!«, keuchte Hermine.

»Gut – Kratze, bleib hier -«

Sie gingen weiter; Harry und Hermine versuchten, nicht auf die Stimmen hinter ihnen zu horen. Wieder erstarrte Ron.

»Ich kann sie nicht mehr festhalten – Kratze, halt's Maul, die horen uns doch -«

Die Ratte quiekte spitz, doch nicht laut genug, um die Gerausche zu uberdecken, die von Hagrids Garten heruberwehten. Zunachst gab es ein Gewirr undeutlicher Mannerstimmen, dann trat Stille ein, und dann, ohne Warnung, horten sie das unmi?verstandliche Surren und den dumpfen Aufschlag einer Axt.

Hermine wankte.

»Sie haben es wirklich getan!«, flusterte sie Harry zu.»Ich k… kann's nicht fassen – sie haben's getan!«

Kater, Ratte, Hund

Harry war so entsetzt, da? er keinen Gedanken mehr fassen konnte. Gelahmt vor Schreck standen sie unter dem Tarnumhang. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten das Land und die langen Schatten der Baume in blutrotes Licht. Dann horten sie ein wildes Heulen.

»Hagrid«, murmelte Harry. Unwillkurlich machte er kehrt, doch Ron und Hermine packten ihn an den Armen.

»Wir konnen jetzt nicht zu ihm«, sagte Ron, das Gesicht wei? wie Papier.»Wenn sie rauskriegen, da? wir ihn besucht haben, wird alles noch viel schlimmer fur ihn…«

Hermine atmete flach und unregelma?ig.

»Wie… wie konnten sie nur?«, wurgte sie hervor.»Wie konnten sie das tun?«

»Gehen wir«, sagte Ron mit klappernden Zahnen.

Sie gingen weiter und achteten unter dem Tarnumhang sorgfaltig auf ihre Schritte, um sich nicht zu verraten. Das Tageslicht erstarb rasch. Als sie freies Gelande erreicht hatten, legte sich die Dunkelheit wie ein Fluch uber sie.

»Gib Ruhe, Kratze«, zischte Ron und pre?te die Hand auf die Brusttasche. Die Ratte strampelte und kratzte verzweifelt. Ron blieb plotzlich stehen und versuchte Kratze tiefer in die Tasche zu zwangen.»Was ist los mit dir, du dumme Ratte? Ruhe jetzt – autsch! Er hat mich gebissen!«